Bernd, wie kamst du zum Flamenco?
Bernd
Steinmann: Das Rhythmische, Melodische
und auch das Akkordspiel dieser Musik haben mich immer fasziniert.
Neben
der Klassik,
die ich mit 15 Jahren angefangen habe, ist Flamenco immer ein
besonderer Bereich für mich gewesen, mit dem ich mich sehr
beschäftigt habe.
Das hat schließlich dazu geführt,
dass du eine erfolgreiche Flamenco-Schule geschrieben hast.
Bernd Steinmann: Der
Grund ist, dass es sicher wenig deutschsprachige Literatur
gibt oder die Lehrbücher auch oft hohe Anforderungen
stellen, so dass der durchschnittliche Schüler sich schwer
tut. Mir ist der pädagogische Standpunkt sehr wichtig
gewesen. Systematik, Verständlichkeit und keine Überforderung,
so dass jeder einen schnellen Zugang zu dieser Musik bekommt.
Die Besonderheit in der Konzeption des Lehrbuches ist auch, dass
jedes Stück eine leichte und eine anspruchsvolle Version
hat. Ich kann ja einen Rhythmus wie die Solea mit einer einfachen
Melodielinie versehen, die man übrigens in Spanien Falseta
nennt, oder kann das Ganze auch komplizierter gestalten. Außerdem
habe ich mich sehr um Übersichtlichkeit bemüht.
Mir ist auch
aufgefallen, dass deine Picado Übungen, also
die Tonleiterübungen, sehr melodisch klingen.
Bernd Steinmann: Bei der Schute ist schon vorausgesetzt, dass
man grundlegende technische Anforderungen wie Wechselschlag,
Akkordspiel oder einfache Arpeggien beherrscht. Ansonsten glaube
ich, dass man Technik immer so vermitteln sollte, dass sie auch
Spaß macht. Anstatt immer eine A-Dur Tonleiter rauf und
runter zu spielen, kann ich Technik auch mit einer schön
klingenden Falseta üben, die ich später gleich in ein
Stück integrieren kann.
Verständlichkeit, leichter Zugang - leidet da unter Umständen
die Authentizität der Musik? Musstest du zum Beispiel kompliziertere
Rhythmen oder Spielstile weglassen?
Bernd Steinmann: Nein, überhaupt
nicht. Alle harmonischen, melodischen und rhythmischen Elemente
des Flamenco werden besprochen. Eine andere Frage ist, ob ich
alles in Zweiunddreißigsteln oder in Sechzehnteln notiere.
Wie heißt es so schön: „Das Auge spielt mit“.
Ist es ein Nachteil
für dich, dass du kein Spanier bist
und du so vielleicht einen schwierigeren Zugang zum Flamenco
hast?
Bernd Steinmann: Das muss kein Nachteil sein. Man hinterfragt
und lernt Dinge ganz anders, wenn man sie sich erarbeiten muss
und nicht in einem natürlichen Umfeld
kennen lernt. Man hat auch einen anderen Abstand zur Musik, und
das kann sogar ein Vorteil sein, wenn man sie selbst weiter vermitteln
will. Man weiß vielleicht viel eher, worin die Schwierigkeiten
eines Nicht-Spaniers bestehen Flamenco zu lernen, und das kann
didaktisch sehr nützlich sein. Ein anderer Aspekt ist, dass
ich nicht nur Flamenco gelernt habe, sondern auch an der Folkwang
Hochschule und an der Musikhochschule Wuppertal klassische Gitarre
studiert habe. Das akademische Spiel ist von Vorteil, wenn man
Musik lehren will.
Spielst du live denn auch Klassik oder bist du auf Flamenco
festgelegt?
Bernd Steinmann: Ich kombiniere die Konzertprogramme. Ich spiele
auch Werke der klassischen Literatur, wie von Isaac Albeniz und
eigene Flamenco-Arrangements. Ich bin eben ein typisches Sternzeichen
Zwilling - am 3.6.63 geboren - und habe diese beiden Gesichter:
Klassik und Flamenco in einem Konzert. Schwierig ist dabei die
unterschiedliche Technik. Flamenco spiele ich gerne mit Fingernägeln,
die ich mit Sekundenkleber überziehe, um besser Rasgueados
und Golpes spielen zu können. Das wiederum ist für
den schönen weichen Ton der klassischen Gitarre nicht so
gut. Auch die Haltung ist unterschiedlich, ebenso wie der jeweilige
musikalische Grundgedanke. Aber gerade das reizt mich so, zumal
es ja dann doch genügend Überschneidungen gibt. Albeniz
hat zum Beispiel das Stück „Sevilla“ geschrieben,
in Erinnerung an den Flamenco Rhythmus Sevilianas.
Es kann sehr interessant sein, dem Zuhörer Ähnlichkeiten
und Unterschiede zwischen der klassischen spanischen Musik und
dem Flamenco zu zeigen. Neben den Flamenco-Klassik- Programmen,
die ich Solo, im Gitarreduo und mit einer Tänzerin spiele,
gibt es auch noch ein rein klassisches Programm mit einer Mezzosopranistin.
Ist es nicht
ohnehin so, dass in südlichen Gefilden die
klassische Musik sehr stark von der landeseigenen Folklore beeinflusst
ist? Ich denke da auch an Lateinamerika. Reizt es dich, die Klassik
auch mal anders zu spielen
- mit Flamenco-Touch zum Beispiel?
Bernd Steinmann: Nein, ich trenne da schon sehr deutlich.
Albeniz oder Granados, das ist für mich Kunstmusik, die
ich auch entsprechend spiele - mit einer anderen Gitarre und
einem anderen
Klangideal.
Wie und bei wem hast du Flamenco gelernt?
Bernd Steinmann: Ich war mehrere Male in Andalusien. Da kommt
der Flamenco her, und da muss man auch gewesen sein, wenn man
diese Musik ernsthaft spielen will. Spanische Musiker und Tänzer,
mit denen ich zusammenarbeite, merken sofort den Unterschied,
ob du dich auch im Land selbst mit der Musik auseinander gesetzt
hast oder nicht. Es gibt dort so viele gute Gitarristen, jeder
mit einem eigenen Stil. Sie wissen oft gar nicht, was sie so
alles machen - in dem Sinne, dass sie keine Noten lesen oder
ihre Sachen nicht aufschreiben. Aber man kann dort sehr viel
Authentisches mitbekommen. Bei Manuel Diaz, einem Gitarrenbauer
und Gitarristen, habe ich sehr viel gelernt. Ich habe auch sehr
viel mit ihm gespielt. Das war für mich jedes Mal eine große
Inspiration.
Spielst du in Deutschland auch mit Spaniern?
Bernd Steinmann: Ich begleite an der Folkwang - Hochschule
den Unterricht eines spanischen Tänzers. Da ist Präzision
gefragt, und das ist auch ein gutes Training für mich. Die
spanische Rhythmik ist nicht immer einfach zu verstehen. Der
so genannte Compas, der Takt oder das Rhythmus-Pattern, ist oft
in Zwölfer-Schemata geschrieben. Man fängt aber nicht
immer bei eins zu zählen an. Bei der Seguiriya fängt
man zum Beispiel bei acht zu zählen an und setzt im Verlauf
des Zählens die unterschiedlichsten Akzente. Das muss im
Tanzunterricht ständig abrufbar sei. Ich habe mich daran
gewöhnt und begleite deswegen auch gerne Tänzer. Die
Tänzerin, die ich bei Auftritten begleite, ist allerdings
eine Deutsche.
Woher kommt
denn dieser Zwölfer-Puls, den du gerade erwähnt
hast?
Bernd Steinmann: Die Wurzeln liegen zum Teil in Afrika. Aber
auch die indische Musik ist dafür verantwortlich. Mit den
Zigeunern kam sie dann nach Europa. Diese Zigeuner stammen aus
Nord-West-Indien. Auch die Mauren aus Nordafrika haben Einfluss
auf die Musik ausgeübt. Aber Flamenco ist immer eine ständig
sich wandelnde Kunst gewesen, die nicht so akademisch ist. Deswegen
ist es schwer, sich da so genau festzulegen, wer jetzt wie viel
beigetragen hat. In früherer Zeit wurde ja ganz wenig aufgeschrieben,
das ist mehr durch praktische Überlieferung passiert. Das
heißt, man hat sich die Sachen abgeschaut.
In Spanien redet
man oft vom „Duende“, eine Art
musikalischer Geist, der in einen fährt und einen den wahren
Flamenco spielen lässt. Kannst du dieses Gefühl als
Nicht-Spanier nachempfinden?
Bernd Steinmann: Ich glaube, jeder Musiker oder Tänzer
kann dieses Gefühl erleben. Ich würde eher von „Ekstase“ sprechen,
denn genau das meinen die Spanier mit Duende. Ein bulgarischer
Tänzer würde es sicher anders ausdrücken, nach
seiner Vorstellung eben. Man muss aus diesem Begriff kein großes
Geheimnis machen. Das ist einfach eine besondere Art von Trance,
die es in allen Kulturkreisen gibt. Anders formuliert: es ist
ein Moment, in dem man nicht mehr über Technik oder andere
Gegebenheiten nachdenkt, sondern einfach mit Leidenschaft ganz
in der Musik ist. Beim Flamenco werden viele Tänze zum Schluss
hin schneller. Das ist auch so ein Element der Steigerung, die
einen mehr in die Musik hineinzieht.
Liegt das an
der Extrovertiertheit der spanischen Musik, dass man dieses
Trance-Gefühl eher erlebt? Man hat ja schon
von der Spielweise her den Eindruck - mit all den Rasgeuados
und
Golpes - dass es bei dieser Gitarrenmusik ziemlich zur Sache
geht.
Bernd Steinmann: Ja, das ist schon ein Eindruck, den man haben
kann. Ich möchte aber daran erinnern, dass die Solea, die
sozusagen die Mutter des Flamenco ist, ein eher introvertierter
Rhythmus ist. Solea leitet sich ab von dem Wort Soledad, und
das heißt Einsamkeit. Flamenco kommt von Volksgruppen wie
den Zigeunern, die in Armut lebten und gar nicht ihre Kunst öffentlich
dargeboten haben. Die Musik wurde in kleinen Gruppen oder in
Familien gespielt und war eher ein emotionales Ventil. Aus Unterdrückung
kann aber auch Kraft entstehen, und so drückt sich dieses
Ventil vielleicht auch in Schlagtechniken wie dem Rasgeuado oder
in besonderer Expressivität aus.
In keinem Gitarrenstil, der nicht mit Plektrum gespielt wird,
gibt es schnellere Skalen. Kann man als Nicht-Flamencospieler
da etwas von euch lernen?
Bernd Steinmann: Das ist schon eine spezielle Spielweise.
Viele klassische Gitarristen wundern sich vielleicht, warum
sie nicht
auf dieses Tempo kommen. Das hat mehrere Gründe. Einmal
hat die Flamenco-Gitarre eine deutlich niedrigere Saitenlage
und lässt sich dadurch viel schneller spielen. Auch die
Rasgeudeos kann man nicht so schnell auf einer normalen Gitarre
spielen. Der Ton der Flamenco-Gitarre klingt - bedingt z.B. durch
die verwendeten Ahorn und Fichtenhölzer -kürzer, trockener
und perkussiver. Allein dadurch klingt ein Lauf schon schneller.
Spiel einen Lauf genauso schnell auf einer Konzertgitarre: die
Töne sind weicher, klingen viel mehr ineinander und trennen
auch nicht so sauber. Auch das Temperament der Spanier spielt
da wieder mit hinein. Sie reden unglaublich schnell und diese
Kraft und Unbändigkeit zeigt sich vielleicht auch in ihrem
Spiel. Technisch gesehen passiert der Anschlag beim Picado mehr
aus dem Mittelgelenk des Fingers. Es ist also weniger Bewegung
als beim klassischen Spiel notwendig, wo die Bewegung aus dem
Grundgelenk des Fingers kommt. Und noch ein Tipp: Es gibt im
Gehirn Bereiche für verschiedene Tempi, wie ich mir neulich
ein Uni-Professor erklärte. Es bringt also oft nichts, mit
dem Metronom langsam das Tempo eines Laufes zu steigern und zu
hoffen, dass es irgendwann mal schnell geht. Man sollte bestimmte
Dinge gleich schnell spielen und üben. Das kann man ja in
kurzen Details oder Abschnitten auch ganz gut machen. Yehudi
Menuhin hat einmal erzählt, dass er mit Zigeunern vom Balkan
zusammen gespielt hat. Er, der große Geiger, hatte Schwierigkeiten
bei deren Tempo mitzuhalten. Er musste erst sein ganzes klassisches
Denken von Legato- Spiel über den Haufen werfen und sich
auf die komplett andere Mentalität einstellen Musik zu machen,
bevor es funktionierte. Grundsätzlich möchte ich zu
diesem Thema aber noch sagen, Tempo ist nicht alles. Die Musik
sollte im Vordergrund stehen und nicht der Anspruch, alles möglichst
schnell spielen zu können.
Hast du Vorbilder im Flamenco?
Bernd Steinmann: Mein Vorbild sind die Musik und der Anspruch,
die Stücke gut zu gestalten. Wenn du nach Gitarristen fragst,
die mir gefallen, so fallen mir spontan ein Paco de Lucia und
Vicente Amigo. An Vicente gefällt mir besonders sein schönes
lyrisches Spiel. Er spielt auch mal ein Rubato, und bei ihm steht
die Technik nicht im Vordergrund, obwohl er natürlich technisch
perfekt ist.
Du hast selbst
bereits drei CDs herausgebracht - da höre
ich auch eher einen lyrischen Sound.
Bernd Steinmann: Ja, das ist auch eher mein Stil. Es kommt übrigens
demnächst eine vierte CD mit der Mezzosopranistin. Da gehe
ich wieder mehr in den klassischen Bereich mit einem Programm
von John Dowland bis Garcia Lorca oder de Fatla. Bei den Kompositionen
der beiden Letzteren wende ich übrigens Flamenco-Techniken
an. Da kommt es also zu der Stilmischung, die du vorher angesprochen
hast. Beide Komponisten haben sich ja auch sehr mit Flamenco
auseinander gesetzt, speziell mit dem Cante Jondo, dem Gesang
im Flamenco. Es gibt zum Beispiel das Stück „Polo“,
das aus dem Flamenco stammt und ein Ableger der Solea ist.
Welche Gitarren spielst du?
Bernd Steinmann: Für die Klassik benutze ich eine Weissgerber
von 1931, und Flamenco und Klassik spiele ich auf einer Miguel
Rodriguez aus Cordoba. Für Flamenco habe ich noch eine Morales
aus Granada und eine Mitsuro Tamura. Außerdem habe ich
noch eine Takamine mit Tonabnehmersystem.
Gibst du auch Flamenco-Unterricht?
Bernd Steinmann: Ja, ich unterrichte an der Hochschule in
Wuppertal in Form von Workshops. Das ist eigentlich ein Wahlfach
für
die Studenten dort. Trotzdem ist der Unterricht offen für
alle interessierten Gitarristen. Man muss kein Profi sein, um
teilnehmen zu können. Meistens findet der Workshop am Samstagvormittag
statt. Man kann mich auch gerne in der Folkwang-Hochschule in
Essen besuchen und zusehen, wie ich den Tanzunterricht begleite.
Vielen
Dank für das Gespräch.
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